Entnervt richtest du dich wieder auf. Die Lehne deines Stuhls könnte noch so bequem sein und trotzdem wäre es dir nicht möglich, richtig zu schlafen. Dein Rücken pocht dumpf, deine Wirbelsäule fühlt sich steif an und du versuchst, die verkrampften Muskeln zu lockern, indem du dich ein wenig streckst. Das ersehnte Knacken der Wirbel, die wieder in ihre ursprüngliche Position springen, lässt einen gewaltigen Felsbrocken von deinem Herzen rollen. Du fühlst dich wieder wohl und eine angenehme Wärme steigt in deinem Inneren auf.

 

Langsam öffnest du deine Augen und siehst dich um – alles ist noch genau so wie vor wenigen Minuten, du hast nichts verpasst. Erleichtert lässt du dich zurück in den gepolsterten Stuhl sinken und dein Blick schweift auf den riesigen Bildschirm vor dir. Dieser nimmt die gesamte Wand ein und es gibt nichts, worauf du mehr stolz sein könntest. Momentan ist auf dem Panorama jedoch nichts als Schwärze zu sehen. Du verziehst unwillig das Gesicht und deine Augen bleiben an etwas Anderem hängen. Deine Ohren haben sich also nicht verhört, denn das taten sie nie. Etwas hatte dich aus deinem unruhigen Halbschlaf gerissen. Rechts neben deinem Stuhl steht ein kleiner, schwarzer Tisch. Dieser wirkt recht schlicht, wenn man nicht weiß, was er beherbergt.

 

Nichts in diesem Raum wirkt auf irgendeine Art und Weise besonders, abgesehen von der Glühlampe, welche von der Decke baumelt. Das kleine Licht flackert leicht, als du zu ihm hinauf schaust. Die kleinen Birnen waren schon längst aus der Mode, aber das ist dir relativ egal. Du interessierst dich nicht dafür, was gerade ''in'' ist oder eben nicht. Ehrlich gesagt interessierst du dich überhaupt nicht für irgendjemanden oder irgendetwas. Zwar bist du oft unterwegs und siehst dabei viele Menschen, aber immer, wenn du jemanden getroffen hast, fiel dieses Treffen recht kurz aus. So war es dir nie möglich gewesen, Freundschaften aufzubauen. Doch irgendwie fehlt dir das auch überhaupt nicht. Du bist zufrieden mit dem, was du hast. Einerseits, weil du dich genau dafür bestimmt fühlst, andererseits, weil du nie eine andere Wahl hattest.

 

Die Sanduhr auf dem Tisch neben dir zieht deine Aufmerksamkeit erneut auf sich. Etwas stimmt nicht mit ihr. Dann bewegst du kurz und ruckartig deinen Kopf, schüttelst den Schleier der Müdigkeit ab und lässt deine Gedanken wieder klar werden. Die feinen Körnchen waren durch das Loch in der Mitte des geschwungenen Glases gerieselt und hatten sich zu einem kleinen Hügel auf der goldenen Bodenplatte aufgetürmt. Mit einer einfachen Handbewegung drehst du die Uhr wieder um, betrachtest einen Moment lang die kleinen Körner, welche sich ihren Weg nach unten bahnen, dann stehst du auf. In diesem Moment leuchtet der Bildschirm vor dir in einem grellen Licht und du kneifst verbissen die Augen zu. Diesen Teil deiner Arbeit magst du am wenigsten. Du spürst, wie sich alles um dich herum dreht und bist froh, noch nichts gegessen zu haben. Trotzdem scheint dein Magen im Dreieck zu springen und du schluckst, doch deine Kehle bleibt weiter trocken.

 

Zum Glück dauert es nicht lange, bis du den festen Boden unter den Sohlen deiner Stiefel spürst und deine Augen wieder öffnen kannst. Sorgsam siehst du dich um. Du stehst in einer schmalen Straße, links und rechts parken Autos der verschiedensten Preis- und Größenklassen. Die fünfstöckigen Häuser türmen sich zu beiden Seiten auf und lassen nur wenig Sonnenlicht den mehrfach geflickten Asphalt berühren. Die gepflasterten Gehwege sind durchzogen von Unkraut. Hinterlassenschaften gefühlter dreihundert Hunde haben sich um den Bäumen, welche in bestimmten Abständen die gerade Linie der Wege unterbrechen, angesammelt. Du drehst dich zur Seite und blickst in ein leeres Schaufenster. Das Wort ''Hundesaloon'' prangt dort in großen, gelben Schriftzeichen, aber hinter der verstaubten Scheibe ist es seltsam leer. Ein kleiner, vergilbter Zettel an der Eingangstür fällt dir ins Auge. ''Wegen Krankheit geschlossen'' kannst du die ausgeblichenen Lettern entziffern. Die Gegend wirkt trostlos, unschön. Es kommt jedoch nicht selten vor, dass du in solche Straßen gerufen wirst. Obwohl, du kannst dich unmöglich an alle Orte erinnern, an denen du je gewesen bist. Gut möglich also, dass du diese Straße schon einmal betreten hast.

 

Allerdings spürst du, dass dies nicht der Ort ist, den du suchst. Die Stimme, welche dich aus deinem Halbschlaf geholt hat, kam nicht von hier. Also gehst du die Straße weiter hinunter, bis sich eine Kreuzung vor dir öffnet. Auf der gegenüber liegenden Seite leuchtet ein Supermarkt dir in seinen hellen Farben entgegen. Der Parkplatz davor jedoch ist leer, die Lichter im Inneren ausgeschaltet.

 

Ein älterer Mann geht an dir vorbei und biegt nach rechts in die Hauptstraße ein. Du folgst ihm unauffällig. Er geht an einem kleinen Park vorbei. Auf Bänken dort siehst du Betrunkene sitzen und lautstark miteinander streiten. Leere Bierflaschen liegen im sattgrünen Gras. Ein Schmetterling lässt sich auf einer Blume unweit von dir nieder und schlägt versonnen mit den zitronengelben Flügeln.

 

Der Blick des Mannes vor dir hebt sich zu einer Anzeige: in einer Minute kommt die nächste Straßenbahn. Dann dreht er sich in deine Richtung um und du kannst das erste Mal sein Gesicht erkennen: er ist um die sechzig Jahre alt, trägt die ergrauten Haare kurz, wodurch du seine hellen Augen erkennen kannst. Trauer liegt in ihnen, du hast diesen Ausdruck schon so oft gesehen und dennoch bringt er dich jedes Mal zum nachdenken. Dein Beruf hat immerhin viel mit negativen Gefühlen zu tun, doch du hast dir das schließlich nicht ausgesucht.

 

Die tiefen Augenringe und das unrasierte Kinn lassen vermuten, dass der Mann vor dir in letzter Zeit wenig geschlafen hat. Das ungebügelte, faltige Hemd ist nachlässig in die schwarze Hose gestopft worden. Die Schuhe sehen bereits abgetragen aus und die schwarzen Socken haben verschiedenfarbige Muster. Der Mann tritt einen Schritt nach vorne und du siehst, wie zwei gelbe Wagons mit lautem Quietschen und Knarren neben dir zum Stehen kommen. Du folgst dem Grauhaarigen in die Straßenbahn. Die blauen Sitze wirken abgenutzt und schmutzig, wie auch der Rest des Inneren. Der Mann beachtet dich nicht, als du dich auf den freien Platz neben ihn setzt, sondern starrt auf seine Handflächen. Du meinst, Tränen in den Winkeln der blassen Augen erkennen zu können. Irgendwie tut er dir Leid.

 

Die Fahrt dauert nur wenige Minuten, welche du damit verbringst, die Menschen um dich herum zu beobachten. Frauen und Männer reden in verschiedensten Sprachen mit- und übereinander. Kinder rufen sich über mehrere Plätze unverständliche Worte zu und hinter dir rülpst ein Betrunkener laut. Du freust dich schon jetzt darauf, diese Bahn wieder verlassen zu können.

 

Die Fahrt führt dich ins Innere der Stadt, wo es wesentlich belebter und bunter zugeht. Kaufhäuser erheben sich aus ihrer gepflasterten Umgebung, ein großes Banner ruft zum verkaufsoffenen Sonntag und du siehst viele Menschen mit prall gefüllten Einkaufstüten über die Straße laufen. Die große Uhr an einem kirchenähnlichen Gebäude zeigt, dass es bereits 11:45 Uhr ist.

 

Vor der nächsten Haltestelle steht dein Sitznachbar auf. Höflich tust du das Gleiche, trittst auf den Gang hinaus und lässt ihn vor. Er beachtet dich jedoch nicht einmal und geht zur nächsten Tür. Du folgst ihm wieder hinaus, als er den Fahrgastwunsch betätigt und aussteigt. Hier befinden sich wesentlich mehr Menschen, eng aneinander gedrängt, sodass du dich beeilen musst, um den Mann vor dir nicht zu verlieren. Einige der Leute rempeln dich an, entschuldigen sich jedoch nicht einmal dafür, sondern gehen einfach weiter. Dich stört das nicht.

 

Ein paar Minuten steht der Grauhaarige nur herum, starrt ab und zu auf die Anzeige der noch verbleibenden Zeit, bis die nächsten Straßenbahnen einfahren. Du stehst direkt neben ihm, genau so unbeweglich wie er selbst, bis er Anstalten macht, in eine der nächsten gelben Maschinen zu steigen. Die Bahn ist voller als die Vorige. Du hast das Gefühl, die Wärme der Körper um dich herum würde dir die Luft zum Atmen nehmen.

 

Plötzlich taucht im Wirrwarr der ein- und aussteigenden Leute ein Mädchen auf. Der Körper der Kleinen ist zur Hälfte durchscheinend. Seine großen, blauen Augen sehen dich an: halb entsetzt, halb fasziniert. Du blickst nach rechts aus dem Fenster und siehst dort einen Rettungswagen. Neben dem weiß-roten Auto steht ein dunkelblauer Mercedes und direkt davor liegt ein rosafarbenes, kleines Fahrrad. Ein paar Blutspuren sind auf dem hellen Pflasterstein zu sehen.

 

Du schließt die Augen und konzentrierst dich. Das Innere des Rettungswagens taucht vor dir auf: eine Liege, daneben zwei in orange-blaue Uniformen gekleidete Männer, die sich über ein kleines Mädchen beugen. Die hellen, blonden Haare des Kleinen sind verschmiert vom Blut, welches immer noch aus einer Platzwunde an der Stirn sickert. ,,Jetzt!'' ruft einer der Sanitäter und der zierliche Körper hebt sich, presst sich an die Elektroden des Defibrillators. Dann sinkt er wieder zurück auf die Liege, nichts geschieht. Verzweifelt hörst du die Stimme des anderen Mannes: ,,Nochmal, gib ihr noch eine Chance!'' Der Andere schüttelt betrübt den Kopf, legt die Elektroden aber trotzdem noch einmal auf.

 

In diesem Moment erscheint diese geisterhafte Gestalt des Mädchens erneut, dieses Mal direkt neben dir und sieht dich fragend an. Du lächelst leicht und schüttelst den Kopf. Daraufhin löst sich die Erscheinung auf und du hörst einen der Sanitäter erleichtert ausatmen, als er die Finger vom Hals des Kindes nimmt. ,,Sie hat es geschafft'', bringt der andere Mann heraus und sieht seinen Kollegen dankbar an. Du jedoch neigst leicht den Kopf und schließt wieder deine Augen.

 

Als du sie öffnest, stehst du erneut neben dem alten Mann. Die Straßenbahn hat angehalten und du folgst dem Dreitagebartträger nach draußen. Euer Weg führt eine breite Straße entlang und dann nach rechts. Ein Park erstreckt sich links von dir, vor dir siehst du ein modern scheinendes Gebäude über vier Stockwerke in den strahlend blauen Himmel ragen. Die Wände sind mit Spiegeln bedeckt und nur die eingelassenen Fenster bieten deinen Augen einen ruhigen Punkt. Durch die Reflexionen wirkt die Hauswand beinahe bunt. Vor dem Gebäude erstreckt sich ein riesiger, überfüllter Parkplatz. Rechts von dir reihen sich in einer Nebenstraße kleine Einfamilienhäuser aneinander und die vielen Blumen in den Vorgärten verbreiten einen angenehmen, süßen Duft.

 

Von Nahem sieht der Betonblock jedoch weniger beeindruckend aus, die Farben des gebrochenen Sonnenlichts verlieren ihre Kraft, als sich eine Wolke vor den Himmel schiebt. Du unterdrückst ein leises Seufzen und folgst dem Grauhaarigen über einige Treppenstufen, dann durch die sich von selbst öffnende Glastür einen großen Eingangsbereich. Hinter einem breiten Tresen links von dir sitzen drei junge Frauen in weißer Kleidung und telefonieren. Das Geräusch von klingelnden Telefonen mischt sich unter das gedämpfte Murmeln von den aufgestellten Tischen und Bänken rechts von dir. Dort sitzen Menschen mit Verbänden, Krücken oder in Rollstühlen und unterhalten sich mit offensichtlich gesunden Familienmitgliedern. Etwas abseits steht ein älterer Mann hinter einem Würstchenstand und tippt auf seinem Smartphone umher.

 

Eine der Frauen an der Rezeption nickt leicht in deine Richtung, aber du weißt, dass nicht du gemeint bist. Der Mann, dem du folgst, setzt sich daraufhin in Bewegung und biegt hinter dem Tresen in einen langen Gang ein. Du hast keine Mühe, mit seinen zögernden Schritten mitzuhalten und siehst dich deshalb im Gehen etwas um. Die kalkweißen Wände sind absolut nichts, woran du dich je gewöhnen könntest und die Bilder, welche in einigem Abstand das Weiß unterbrechen, tragen auch nicht positiv zu deiner Meinung bei. Das helle, kalte Licht aus den Neonröhren an der Decke wirkt ungemütlich, abweisend.

 

An zahlreichen Türen, die mit Nummern beschriftet sind, ist der Mann vor dir bereits vorbei gegangen, vor einer bleibt er dann jedoch plötzlich stehen. Du kannst sehen, wie seine Hand zittert, als sie die Klinke hinunter drückt und die Tür langsam nach innen öffnet. Da er im angrenzenden Raum verschwindet, folgst du ihm ins Innere. Ein kleines, aber helles Zimmer erwartet dich. Die zwei bodentiefen Fenster lassen den Blick frei auf eine grüne Wiese, umringt von Bäumen. In der Mitte derer befindet sich ein großer Teich. Trotz der Entfernung kannst du die bunten Körper der Fische darin erkennen.

 

Dann schweift dein Blick nach links. Dort steht ein Bett, genau so weiß wie der Großteil des Raumes. Der grauhaarige Mann hat sich auf einem Stuhl nieder gelassen und starrt auf die Person, welche friedlich zu schlafen scheint.

 

Die Frau müsste etwa im gleichen Alter sein. Du schließt deine Augen. Verschwommen taucht eine gemütliche Küche vor dir auf. Dort sitzt sie an einem kleinen Tisch und trinkt Kaffee. Plötzlich fällt einer ihrer Arme mitsamt der Tasse hinunter und schlägt unter einem dumpfen Knall auf der Holzplatte auf. Dein Blick schweift zu ihrem Gesicht und deine vorherige Vermutung bestätigt sich: einer der Mundwinkel hängt schlaff herab, ein Tropfen Speichel, vermischt mit dunkler, schwarz scheinender Flüssigkeit, läuft das Kinn hinunter. Dann verschwimmt das Bild erneut und du stehst wieder am Bett der Frau.

 

Sie tut dir wirklich Leid, denn du spürst, dass sie nie wieder in ihrer Küche sitzen und Kaffee trinken wird. Ihr restliches Leben würde sie in diesem kleinen Raum verbringen: gefesselt in ihrem eigenen, unbeweglichen Körper. Selbst die ganzen Geräte, an die sie nun angeschlossen ist, würden sie nicht mehr dazu bringen können, ihre Augen noch einmal aufzuschlagen. Ihre Zeit ist schlichtweg gekommen. Vermutlich liegt sie bereits lange hier.


Du siehst hinüber zu dem Mann, der immer noch auf dem Stuhl sitzt. Sein vom Alter gegerbtes Gesicht ist mit Tränenspuren überzogen, die Lippen verschmelzen zu einem schmalen Strich. Seine Hand hält die der Frau. Dein Blick schweift zu einem kleinen Tisch neben dem Bett und dort bleibt er an einem Bilderrahmen hängen: ein Foto befindet sich darin. Es zeigt die Frau, als sie noch jünger war, in einem weißen Kleid, neben ihr ein gleich alter Mann. Beide sehen so glücklich aus.

 

Der goldene Ring, den die Frau trägt, ist eindeutig von der gleichen Machart wie der, welcher sich an der Hand des Mannes befindet. Du fühlst, dass die beiden Menschen vor dir bereits lange und tief miteinander verbunden sind. Es ist die Stimme des Grauhaarigen gewesen, die dich aus deinem Schlaf geweckt hat. Er hat dich gebeten, seine Frau nicht länger leiden zu lassen und du bist bereit, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

 

Langsam trittst du von der anderen Seite an das Bett heran, beugst dich dann nach vorne und legst deine Hand auf die Augen der immer noch schlafend Scheinenden. Ein unangenehmes Kribbeln durchläuft deine Handfläche, doch du zwingst dich dazu, es auszuhalten. Eine helle Gestalt taucht neben dem Mann auf: es ist seine Frau. Ihre Augen blicken in deine, wandern dann zu ihrem Ehemann. Du siehst, wie sich ihre Hand sanft auf die Schulter des immer noch Weinenden legt und ein leichtes Lächeln auf den Lippen der Gestalt erscheint. Dann löst sie sich auf, wird zu einem Wirbel aus Licht: leuchtend wie Hunderte von Sternen und gleichzeitig schimmernd wie Millionen von Diamanten. Dieses Licht streift wie zum Abschied ein letztes Mal das Gesicht des trauernden Mannes, dann entschwindet es durch das gekippte Fenster nach draußen und schwebt dem Himmel entgegen, bis du es nicht mehr zu sehen vermagst.

 

Dein Blick gleitet hinüber zu den Geräten. Eines davon zeigt nun mehr eine gerade Linie. Auf einmal nehmen zwei helle Augen deine gefangen: der Mann schaut dich über das Bett hin an: einerseits erschrocken, andererseits fasziniert. Du lächelst vorsichtig und kannst sehen, wie ein erleichterter Ausdruck im Gesicht deines Gegenübers Einzug hält. Das wässrige Blau beginnt voller Dankbarkeit zu strahlen und er nickt dir zu. Du erwiderst diese Geste und nimmst deine Hand von der Stirn der endlich befreiten Frau. Dann trittst du vom Bett zurück und schließt deine Augen. Wieder bewegt sich alles um dich herum und es dauert einen Moment, bis du wieder festen Boden unter den Füßen hast.

 

Mit einem leisen Seufzen lässt du dich nach hinten fallen und landest in deinem gepolsterten Stuhl. Als du die Augen wieder öffnest, fällt dein Blick auf die Sanduhr zu deiner Rechten. Ein Teil der Körnchen ist bereits durchgelaufen, doch es dauert noch, bis du wieder gebraucht wirst. Deine Gedanken wandern zu dem alten Mann. Vermutlich wird nicht viel Zeit bis zu eurer nächsten Begegnung verstreichen, aber darauf hast du keinen Einfluss. Du spürst, dass dein letzter Auftrag dich viel Kraft gekostet hat, deshalb lässt du dich an die Lehne deines Stuhls sinken und schließt noch etwas die Augen.

 

Deine Aufgabe ist es, jederzeit überall sein zu können. Du musst immer bereit sein, schwierige Entscheidungen zu treffen, denn damit beeinflusst du das Leben der Menschen dort draußen. Jeder von ihnen wird dir einmal begegnen, meistens überleben sie dieses Treffen nicht. Einerseits haben die Leute Angst vor dir, viele begrüßen dich auch, wann immer du sie aufsuchen magst. Jeder wird einmal sterben, Tote wird es immer geben. Gerade deshalb wirst du nie zur Ruhe kommen und auf ewig dazu verdammt sein, über das Ende eines Lebens zu entscheiden. Es ist nicht einfach, deinen Beruf auszuüben, aber es ist nötig.

 

Während du deinen eigenen Gedanken nachhängst, hörst du zu, wie der Sand durch das kleine Loch im Glas rinnt wie die Zeit durch die Finger der Menschen. Das Leben ist etwas Wertvolles, solange es sich noch zu leben lohnt. Es tut dir oft weh, zu sehen, wie vor Allem junge Leute ihres achtlos wegwerfen, aber auch, wie jemand sinnlos leidet. Die Zeit vergeht schnell genug, sie flieht geradezu. Es zählt nur, was man mit ihr anfängt, deshalb sollte man sie so gut wie möglich nutzen. 

 

Gerade, als du in das Reich deiner Träume abdriftest, erreicht dich erneut eine Stimme. Entschlossen schlägst du die Augen auf. Es ist wieder soweit, jemand braucht dich. Egal, wer nach dir ruft, du versuchst allen zu helfen, so gut es geht. Du bist der Einzige, der für jeden da ist: egal ob arm oder reich, egal von welcher Hautfarbe und egal aus welchem Land.