Er stand auf. Der Geruch von Rauch und Ruß hing schwer in der Luft. Es war ruhig. Ruhiger als vor einigen Minuten noch.

 

,,Auftrag erledigt'', hörte er seine Stimme in das Funkgerät sprechen. Begleitet von einem Knacken ertönte ein: ,,Gut gemacht'' aus dem Hörer.

 

Sein Blick wanderte über die Landschaft. Die Sonne erhob sich langsam aus ihrem schier ewigen Schlaf und tauchte den Himmel in berauschend schönes Rosa. Die wenigen Wolken zogen langsam weiter und letzte Sterne waren zu erkennen, jedoch würden auch diese bald verblassen. Alles hat einmal ein Ende, alles wird einmal zu Asche und Rauch.

 

Eigentlich sollte ihn der Gedanke traurig stimmen, doch er empfand keine Trauer, keine Sehnsucht, keinen Wehmut. Langsam sah er an sich hinab. Eine Flüssigkeit trat aus einer Schnittwunde in seinem Arm. Dann beobachtete er, wie diese schneller hinabfloss, wenn er die Hand zur Faust ballte. Er spürte nichts, gar nichts. Seine zerfetzte Kleidung wies zwei verschiedene Farben auf – das Rot von Blut und das Schwarz des Rußes.

 

Er ging langsam vorwärts, einen Schritt nach dem anderen, sah sich dabei nicht um. Etwas bewegte ihn dennoch dazu, stehen zu bleiben. Ein Mann lag auf dem Boden, er war noch jung, gerade einmal 20 Jahre alt. Es war eine Schande, ein großer Verlust, wenn er den Verlust auch nicht verspürte. Dieser Mann war Soldat gewesen wie er, dennoch war er anders. Er bückte sich zu ihm hinunter, um in dessen Augen sehen zu können – der Glanz der Jugend war verschwunden, ein milchig-glasiger Film hatte sich über die matte Iris gelegt und ließ das ehemals Blaue grau erscheinen.

 

Alles wird einmal zu Asche und Rauch, ging es ihm durch den Kopf, als er die Schusswunde in der recht hohen Stirn betrachtete, ein großer Kaliber, die Kugel hatte eine schöne, mattgoldene Farbe. Er überlegte einen Moment lang, ob er sie mitnehmen und seiner Sammlung hinzufügen sollte, doch etwas hielt ihn davon ab. Es war nicht der Gedanke an moralische Grundsätze, nicht der Gedanke an Vernunft und Ehre, denn das besaß er nicht. Ein weiteres Knacken des Funkgerätes ertönte: ,,Kommen Sie zurück zum Stützpunkt.''

 

Langsam erhob er sich wieder, ließ seinen Blick über die toten Menschen um sich herum wandern, Freunde und Feinde, obwohl er keine hatte. Für ihn gab es nur Befehle, das war das Einzige, was zählte. Darauf war er programmiert. Und seine Programmierung bestand darin zu töten. Das war es, was er konnte, darin war er gut, dafür war er gemacht worden, zusammen mit sieben anderen. Ob sie nur Roboter der Armee waren oder tödliche Maschinen, willenlose Kämpfer, es war egal, es interessierte ihn nicht. Sich darüber Gedanken zu machen, widersprach seiner Programmierung.

 

Während die anderen Soldaten eine Familie besaßen, sich bereits darauf freuten, nach Hause zurückkehren, dem Krieg entfliehen zu können, hatte er niemanden. Doch das störte ihn nicht. Warum sollte es auch? Es würde keinen Sinn ergeben, es ergab keinen Sinn. Er würde es nicht verstehen. Die Gefühle der Menschen waren für ihn lesbar, er erkannte es in ihren Gesichtern: Schmerz, Erleichterung, Freude, Angst, Hoffnungslosigkeit, das alles war ihm nicht fremd. Vielleicht hatte er selbst einmal so gefühlt, doch er konnte sich nicht erinnern, er konnte sich an nichts erinnern und ein wenig beneidete er die Menschen, obwohl er keinen Neid empfinden konnte. Sie waren als Maschinen erschaffen worden, da Menschen zu weich waren. Sie fühlten Mitleid, Schmerz und Verzweiflung, sie gaben auf, wenn es hoffnungslos erschien. Er und die anderen sieben waren anders.

 

Anstelle eines Herzens sendete ein Implantat in ihrer Brust elektrische Impulse aus und steuerte Körperfunktionen. Sie waren Gefangene und gleichzeitig frei, sie spürten keinen Schmerz, kein Mitleid, keinen Ekel, keine Trauer, keine Wut – sie blieben immer kontrollierbar und waren doch unberechenbar, was sie dem Implantat zu verdanken hatten.

 

Niemand konnte sie beherrschen, das Einzige, was in ihnen brodelte, war das flüssige Plasma, welches anstelle des menschlichen Blutes durch ihre Adern floss. Wenn es in ihrer Programmierung hieß, sie sollten den Befehlen einer bestimmten Person folgen, taten sie das. Wenn es hieß, sie sollten sich selbst zerstören, taten sie es. Wenn es hieß, sie sollten töten, zögerten sie nicht, niemals. Denn darauf waren sie programmiert – zu töten, schnell und effizient. Leben von Menschen auszulöschen war nur logisch, denn es gab keine anderen Gedankengänge.

 

Alles wird einmal zu Asche und Rauch. Wann, war nicht von Bedeutung. Das Leben der Menschen war kurz, ihre bloße Existenz unscheinbar. Sie kamen und gingen ohne eine Spur zu hinterlassen. Was war das für ein Leben? Was ist ein Leben? Warum leben wir? Er verspürte ein leichtes Pochen in seinem Hinterkopf und sofort schlug sein Implantat an. Kurz sah er sich noch um, nahm den Koffer neben einem ihm gleich gekleideten Soldaten an sich. Sie waren tot, alle waren tot. Asche und Ruß würden zu Staub zerfallen und vom Wind verweht werden. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Er hatte es schon einmal gehört, doch er wusste nicht wo.

 

,,Noch ist er nicht lange dabei. Wir müssen seine Programmierung überarbeiten, gleich heute Abend. Bis dahin deaktiviert ihr ihn und stellt ihn zu den anderen.'' Die Stimme aus dem Funkgerät war die seines Auftraggebers, eines Marschalls und er wusste, was dies bedeutete. Sein Implantat würde heruntergefahren werden, er wäre wieder eine leblose Hülle bis die Neuprogrammierung abgeschlossen war. Dann würden alle Fehler behoben sein, das Pochen würde nicht mehr vorkommen, seine Gedanken würden sich neu ordnen. Doch was brachte es, darüber nachzudenken. Er konnte seine Gedanken nicht nachvollziehen, nicht verstehen. Das brauchte er auch nicht, denn morgen war ein neuer Anschlag geplant.

 

Er wand seinen Blick ab und sah dem Trümmerfeld entgegen. Am Horizont stieg eine Rauchwolke auf. Dort befand sich das Lager seines Befehlshabers. Wie von selbst setzten seine Beine sich in Bewegung und auf seinem Rücken waren gut lesbar die Zeichen ,,AsM P1'' eingebrannt, seine Seriennummer. Er war kein Roboter, er war kein Mensch. Er war ein Nichts.