Es war dunkel, schon wieder – mal wieder.

 

Er seufzte leise. Warum nochmal hatte er sich hierzu überreden lassen? Ach ja, da war ihm etwas von einem Schatz zu Ohren gekommen und überall, wo Schätze waren, musste auch er sein, das war selbstverständlich. Vorsichtig tastete er sich weiter voran, immer entlang der Wand, bis auf einmal... Verdammt!

 

 

,,Runter!'', schrie er nach hinten und duckte sich augenblicklich. Ein leises Zischen fuhr haarscharf über seinen Kopf hinweg, ein Funke in der Dunkelheit ließ ihn aufatmen – das Metall hatte niemanden von ihnen verletzt und war an einer der Höhlenwände abgeprallt. Nachdem das Echo des Aufpralls verklungen war, setzte er seinen Weg fort, achtete nun noch genauer auf die Beschaffenheit des Felsens unter seiner Handfläche. Hinter sich hörte er das beständige, dumpfe Geräusch von Schritten und das hohle Klopfen eines Gehstocks auf dem Steinboden. Die Schritte gehörten zu seinen drei Begleitern: Robert Geysir, einem Abenteurer und Schriftsteller, Jean Deaux, einem Sprachwissenschaftler und Zohan, einem stets schlecht gelaunten Geologen, zudem der Mann mit dem Gehstock und sein zukünftiger Schwiegervater, wenn sie hier heil wieder herauskommen sollten.

 

 

 

Sie befanden sich tief im Erdboden, irgendwo unterhalb eines Ausläufers der Anden – auf dem südamerikanischen Kontinent. Eigentlich hatte dies eine Urlaubsreise werden sollen: eine Woche Lateinamerika, 'Erholungsurlaub', wie sein Vater es auch nannte. Kurzum: er wurde von einem einflussreichen Sammler um Hilfe bei der Identifizierung eines antiken Schriftstücks gebeten. Bereits als er die Schrift auf dem halb verwitterten Papier gesehen hatte, war ihm klar gewesen, dass dies lediglich Aufzeichnungen des Maya-Volkes waren. Zwar machten die Medien immer großen Wirbel, wenn so etwas entdeckt wurde, aber für Schatzjäger wie ihn war es nichts Wertvolles, so etwas fand man jeden Tag. Trotzdem hatte er sich zu einer Expedition im Bereich des Fundortes breitschlagen lassen, wobei eine gewisse, doch recht hohe Summe Geldes nicht ganz unschuldig gewesen war.

 

Es gab nun einmal in jedem Beruf auch Dinge, welche man ungern tat und die keinen Spaß machten: für Praktikanten war es das ständige Kaffeekochen und für ihn war es, seinen Hals lediglich für ein Stück alten Pergaments und dreihunderttausend Dollar zu riskieren.

 

 

 

Eigentlich halfen ihm nur die Gedanken an die Belohnung und daran, aus dieser Hölle endlich wieder herauszukommen, auf den Beinen zu bleiben, denn sie irrten bereits seit etwa achtzehn Stunden durch zahlreiche Gänge, nachdem sie, dem sagenhaften Orientierungssinn von Geysir folgend, irgendwo falsch abgebogen waren. Ihre Fackeln waren bereits vor etwa zwei Stunden erloschen, somit waren sie nun ohne Licht, ohne Orientierung und, zumindest traf es auf ihn zu, ohne wirklich hilfreiche Begleitung unterwegs.

 

,,Ob die Maya diese Tunnel erbaut haben? Wenn ja, dann muss es hier auch etwas geben, was sie mit den Fallen beschützen wollten'', fachsimpelte Geysir mal wieder. ,,Das Wichtigste und Wertvollste im Besitz der Maya war ihr Wissen und das steht in ihren Schriftstücken'', behauptete Deaux.

 

,,Jetzt seid schon still oder wollt ihr mit euren Stimmen Gerölllawinen auslösen?'', fuhr er genervt dazwischen. Sofort verstummte das Gespräch hinter ihm. Gut, es gab hier mit absoluter Sicherheit keine Gerölllawinen, denn sie waren bis jetzt auf so wenige und ausnahmslos schlecht positionierte Fallen gestoßen, dass ihm eines klar war: das Wertvollste, was hier unten versteckt sein konnte, war die Grabkammer eines einfachen Dieners oder einfach nur Katakomben von ranglosen Eingeborenen. Vermutlich waren es auch einfach nur Fluchttunnel oder Abkürzungen zwischen alten Städten, um Handel zu treiben. Fallen wie riesige Felsbrocken, welche den gesamten Gang ausfüllten, gab es hier ganz sicher nicht, genau so wenig Feuerbälle, welche aus den Wänden schossen oder tiefe Schluchten, die sich unter einem auftaten. Die meisten Leute schauten heutzutage einfach zu viel fern, das war nicht gut fürs Gehirn, wie er leider immer wieder bei anderen Leuten bemerkte. Weiter seinen Gedanken nachhängend führte er die Gruppe durch den Gang, welcher zunehmend enger wurde und irgendwie wurde die Luft mit jedem Schritt feuchter und schwerer. Ob es hier unten Wasser gab, vielleicht heiße Quellen? Das war immerhin möglich. Aber was es hier ganz sicher nicht gab, war ein Schatz.

 

 

 

Er war skeptisch, als Licht am Ende des Tunnels zu erkennen war. Hinter sich hörte er ein leises Getuschel, ignorierte es jedoch gekonnt und schritt weiter. Die Wand unter seinen Händen blieb nach wie vor rau, keine glatten Vertiefungen mehr, also auch keine Fallen. Während sie näher kamen, tränten seine Augen bereits, denn nach so einer langen Zeit im Dunklen mussten seine Pupillen sich erst einmal wieder an Helligkeit gewöhnen. Was er dann sah, ließ ihn zögernd stehen bleiben: wenige Meter vor ihnen befand sich ein kreisrundes Feuer, welches beständig vor sich hin flackerte. Er dachte kurz nach, vor wenigen Minuten noch war das Licht viel heller gewesen als jetzt.

 

Neben ihm nahm er eine Bewegung wahr, Deaux passierte ihn und hielt auf die Wand hinter dem Feuer zu, da kam es ihm vor, als würde sich ein Schalter in seinem Kopf umlegen. Ohne weiter darüber nachzudenken, rief er laut ,,Vorsicht!'', riss den Sprachwissenschaftler zur Seite und mit sich auf den Boden. Ein Rauschen ertönte aus der Erde unter ihnen und mit einem Mal schoss eine meterhohe Feuersäule neben ihnen empor. Die Flammenzungen verfehlten sie nur um wenige Zentimeter, strahlten jedoch eine so abnormale Hitze aus, dass er sich fühlte, als würde er und nicht das ausströmende Gas in Flammen stehen. Das Ganze war nach einigen Sekundenbruchteilen jedoch wieder vorbei und er stemmte sich unter leisem Ächzen wieder auf die Beine, half dann Deaux hoch. ,,Alles in Ordnung bei euch?'', kam ihm die Stimme von Geysir entgegen, doch er winkte ab und meinte nur, es sei keine große Sache gewesen. Seine Haut spannte leicht, war wahrscheinlich auch etwas rot, aber das konnte er in diesem Halbdunkel sowieso nicht erkennen. Der Sprachwissenschaftler stotterte leise etwas, das sich anhörte wie ,,Alles okay'', verstummte dann ganz, bis er ihn fragte, was er nun eigentlich an der Wand gewollt hatte, denn suizidgefährdete Neigungen traute er dem Mann eher weniger zu.

 

 

Dieser bat jedoch nur um ein Nachtsichtgerät und er händigte ihm seines aus. Dann sah der untersetzte Franzose kurz hindurch und reichte es ihm wortlos wieder zurück. Auf seine hochgezogene Augenbraue hin deutete er mit der Hand auf einen dunkleren Fleck direkt hinter dem Loch, in welchem noch immer das Feuer vor sich hin flackerte. Zuerst sah er gar nichts, dann jedoch konnte er leichte Erhebungen und Vertiefungen, welche für einen Zufall viel zu geordnet erschienen, erkennen, dann erreichte ihn Geysirs Bitte, ebenfalls durchsehen zu dürfen, doch er speiste diesen mit einem einfachen ,,Sie können das sowieso nicht lesen'' ab. Nach einem enttäuschten Seufzen kam die Frage, was denn da stünde. Er gab diese, ohne mit der Wimper zu zucken, an Deaux weiter und dieser schnaubte empört. ,,Das ist ein einfacher Maya-Dialekt, Mr. Johnson, den müssten Sie als Archäologe problemlos lesen können'', plärrte die hohe Stimme des Mannes in seine Richtung und ein leises Klingeln blieb in seinen Ohren zurück, als er erwiderte: ,,Wer ist denn hier der Sprachexperte, Sie oder ich?'' Nach einem missmutigen Grummeln gab Deaux sich dann doch geschlagen und murmelte etwas leise vor sich hin.

 

 

 

,,Wie bitte? Soll das ein Scherz sein?'', dröhnte die tiefe Stimme des Ältesten der Gruppe und der Gehstock krachte auf den Steinboden. ,,'Vorsicht! Drache!' - ist das Ihr Ernst?'', schaltete sich nun auch Geysir ein. Er konnte nicht anders als zu grinsen und als er den ernsten Gesichtsausdruck des Franzosen sah, brach er in schallendes Gelächter aus. Ein Drache, natürlich! Was für ein Unsinn.

 

,,Genauer gesagt steht dort: 'Warnung vor der geflügelten, Feuer speienden Echse' und laut alten Legenden fühlen Drachen sich gerade in Höhlen mit heißen Quellen oder solchen entzündlichen Gasvorkommen besonders wohl'', versuchte der Mann weiter, sie zu überzeugen.

 

Bereits Tränen in den Augen habend, merkte er mit ironischem Unterton an: ,,Und diese Legenden sind genau so wahr wie das Geschriebene in der Bibel.''

 

Auf einmal erklang ein Dröhnen unter ihnen, weit weg, dennoch folgte das Echo unerwartet schnell, ein ledernes Flappen war zu hören, heiße Luft stieg aus dem Spalt links von ihnen hervor und sie alle wichen instinktiv zurück. Kratzen wie von einem Eispickel, wenn man ihn in Eis oder Stein bohrte, wurde hörbar. Jeder von ihnen hielt die Luft an, seltsamerweise wurde es allmählich ziemlich warm um sie herum.

 

Er zählte in Gedanken die Sekunden der Stille. Eins...zwei...

 

Plötzlich schoss neben ihnen wieder eine Feuersäule empor und erleuchtete die Höhle. Doch da war auch noch ein anderes Leuchten, direkt vor ihnen und es stellte sich als ein Augenpaar heraus: hellgelb mit linsenförmigen, katzenartigen Pupillen, welche sie augenblicklich fixierten. Nur eine Fledermaus, redete er sich ein, da schoss in geringer Entfernung noch eine Flammenfontäne empor und enttarnte ihren Beobachter vollständig:

 

Ein langgezogener, schlangenartiger Körper, bedeckt mit lichtreflektierenden, schwarzen Schuppen, auf denen das Spiel der Flammen sich fortsetzte, kristallisierte sich aus der Finsternis hervor. Eine fünfzehn Meter lange Schlange.

 

 

 

Neben ihm schrie Deaux aus voller Kehle und das Biest vor ihnen brüllte zurück, dass die Erde bebte und die Wand, an welche er sich gedrückt hielt, erzitterte, dann breitete es sich zu voller Größe aus. Mit Flügeln, fügte er in Gedanken hinzu. Das Tier besaß eine Spannweite von geschätzt etwa zwanzig Metern und damit wurden ihm erst einmal die Ausmaße der Höhle, welche sie entdeckt hatten, bewusst. Es gab keine Drachen, vielleicht war es eine Mutation, entstanden durch atomare Vergiftung? Genau, schalt er sich selbst, eine mutierte Schlange mit Flügeln. Und auch mit Klauen, wie er bemerkte, als eine davon über den Stein kratzte und das Biest vollständig aus dem Spalt hervorkroch. Eine Schlange mit Klauen und Flügeln. Fehlt nur noch, dass sie auch-

 

Weiter kam er gar nicht, denn im nächsten Moment erlosch die zweite Feuersäule, doch dafür schoss eine weitere Flammenzunge durch die Dunkelheit, diesmal jedoch direkt auf die Gruppe zu.

 

 

,,Weg hier!'', rief er und brachte sich mit einem Hechtsprung und einer Rolle vorwärts in Sicherheit. Wie er an den unterdrückten Flüchen hinter sich bemerkte, hatten die Anderen es ebenfalls geschafft und nun blieb ihm nur noch ein Gedanke: Raus hier!

 

Er lief einfach geradeaus, schaute weder nach links, noch nach rechts und erst recht nicht nach hinten, denn von dort hörte er das Kratzen der Klauen auf Stein näher kommen. Mit der nächsten Feuersäule entdeckte er einen Spalt im Gestein und rief der restlichen Gruppe zu, sie sollten sich beeilen, dann zwängte er sich durch die Felsspalte und entdeckte dort eine weitere Höhle. Mit leisem Ächzen hatte sich wenige Sekunden später auch sein zukünftiger Schwiegervater zu ihnen gezwängt.

 

,,Sind alle unverletzt?'', fragte er sicherheitshalber nach und von allen kam zustimmendes Gemurmel. ,,Mein Stock ist weg. Das Vieh hat ihn sich geschnappt'', murrte der Ältere. ,,Bei so einer wichtigen Expedition müssen nun einmal auch Opfer gebracht werden'', schaltete sich Geysir ein. Er schnaubte leise. So hilfreich, wie dieser ihm bis jetzt gewesen war, hätte er ihn am liebsten durch den Spalt zurück zum Drachen gescheucht; Opfer mussten schließlich gebracht werden. Mit dem letzten Funken menschlichen Verstandes, welcher ihm nach vier Tagen in der Gesellschaft dieser Männer noch geblieben war, unterdrückte er seine zynischen Gedanken und widmete sich mit seinem Nachtsichtgerät der Höhle, welche sich daraufhin als Tunnel und möglicher Ausgang entpuppte.

 

 

Wieder ging er voran, die anderen folgten ihm und wenig später gelangten sie zu einer in den Stein gehauenen Wendeltreppe. Links neben der ersten Stufe sah er eine weitere Inschrift, welche ebenfalls in der alten Sprache verfasst war, aber dies konnte sogar er lesen, dort stand schlicht und einfach 'Ausgang'. Er verbannte jeglichen Kommentar seines Gehirns aus seinen Gedanken und schritt voran, seltsamer und irrealer konnte es schließlich nicht mehr werden. Nach wenigen Stufen war er gezwungen, seinen zukünftigen Schwiegervater zu stützen, da dieser mit seinem sich in den letzten Monaten mehr und mehr versteifenden Bein nicht lange ohne Stock laufen konnte.

 

 

 

Nach dreihundertzweiundfünfzig, zweiundfünfzig ist die heilige Zahl der Maya, das war aber sicher nur Zufall, standen sie vor einer alten Holztür. Langsam drückte er die verstaubte, aus Metall gegossene Klinke hinunter und unter leisem Ächzen öffnete diese sich nach außen. Auf einmal waren sie von einem Strudel aus Blautönen umgeben und da er gute Gründe hatte, nie Achterbahn zu fahren, braute sich Gefährliches in seinem Magen zusammen. Bevor ihm jedoch wirklich schlecht werden konnte, hatte ihre Umwelt wieder normale Formen angenommen und er traute seinen Augen nicht.

 

Eine Frau, eindeutig eine Einheimische, drückte ihm mit einem breiten Lächeln und einigen Worten auf portugiesisch einen Flyer in die Hand. Perplex starrte er das Logo an. ,,Panachi'' stand in bunten Buchstaben und darunter ließ ihn die Aufschrift: ,,Cueva del Dragón'' nach Luft schnappen. Langsam drehte er sich um und sah weitere Touristen hinter ihnen eine Treppe – mit allerdings nur zehn Stufen – empor steigen. Elektrische Wandlampen beleuchteten den Gang, von dessen Ende roter Nebel aufstieg. Das musste einfach ein Scherz sein, anders ging es gar nicht, doch als er ein paar Schritte weiter ging, fand er sich tatsächlich mitten in einem Vergnügungspark wieder. Überall um sie herum liefen Pärchen, mit und ohne Kinder oder ältere Ehepaare durch die Gegend.

 

,,Bitte lass uns einfach gehen, Steve'', raunte der Mann, welchen er immer noch stützte, ihm leise zu. Dagegen hatte er nichts einzuwenden und so verließen sie in stillschweigender Übereinkunft den Vergnügungspark. Sie alle redeten nie wieder ein Wort über ihre Expedition, dafür war es einfach zu verwirrend und er wollte auch gar nicht darüber nachdenken, was in diesen Tagen denn nun wirklich geschehen war.

 

 

 

Einen Monat nach seiner Hochzeit fand ein Paket ohne Absender den Weg vor seine Haustür. Skeptisch nahm er es mit hinein, ging ins Wohnzimmer und legte es dort auf den Beistelltisch. Einige Zeit lang starrte er den Karton nur an, doch dann überwand er sich, ihn doch zu öffnen. Der Inhalt bewog ihn dazu, dem Rat seiner Ehefrau nachzukommen und den Beruf zu wechseln. Er wurde Direktor eines Museums und ging nun nicht mehr auf abenteuerliche Reisen.

Der Grund dafür? Nun, das Paket enthielt den Gehstock seines Schwiegervaters, eingewickelt in altes Pergament und überzogen mit Spuren riesiger, scharfer Zähne. Und dies geschah genau zweiundfünfzig Tage, nachdem sie aus der Höhle entkommen waren.