Gerade wollte er einen Bissen seines wohlverdienten Morgenmahles zu sich nehmen. Er konnte bereits die Gerüche verschiedenster Kräuter, vermischt mit dem dampfenden, rauchigen Aroma des gegarten Fleisches, welches zweifellos das Zarteste und Beste an der gesamten südlichen Küste des Germanischen Ozeans war, in seine Nase aufsteigen fühlen, da drangen Schreie von Deck, sowie ein Haufen wild durcheinander gerufene Befehle durch das stabile Holz seiner Kabine.

 

 

 

Ein missgelauntes Knurren entwich seiner Kehle, als er realisierte, dass sein Essen wohl verschoben werden musste. Mit wütendem Stapfen durchquerte er den Raum und streckte seine Hand nach dem Knauf aus, als ihm bereits die Tür vor die Nase geschlagen wurde. Mit einem entnervten Schnauben strich er sich über die schmerzende Stelle, tastete den Knorpel ab: alles noch dran, nichts war gebrochen. Etwas erleichtert atmete er auf. Dann wanderte sein Blick zu einem seiner Männer, dem zweiten Navigator Robin. Robin war nie eine wirklich große Hilfe auf dem Schiff gewesen, er war kein wirklicher Seemann, sondern hatte zuvor in der Armee als Stratege gedient. Diese Fähigkeiten waren beinahe der einzige Grund, weshalb der eher schlaksige, groß gewachsene Mann mit den Segelohren, welche seinem langen Gesicht einen seltsamen Ausdruck von Unwissenheit verliehen, unter sein Kommando gestellt worden war.

 

Schnaubend baute er sich vor seinem Navigator auf, versuchte, diesen mit seinen Blicken zu erdolchen, bis dieser endlich die Fassung zurück erlangte und stotternd begann zu sprechen: ,,Das G-Gold... F-Feuer... französische P-Piraten-'' - ,,Piraten? Auf meinem Schiff?!'', brauste er auf, ,,Wo und seit wann? Warum hat mir niemand Bescheid gesagt? Was ist mit Riley?'' Der junge Mann vor ihm druckste herum, deshalb schob er diesen entschlossen zur Seite und eilte die Treppen hinauf zum Oberdeck. Piraten auf SEINEM Schiff? Einem der besten Schlachtschiffe Englands? Das musste er mit eigenen Augen sehen, bevor er es glauben konnte. Kaum war er auf die Holzplanken und an die frische Luft getreten, befand er sich bereits mitten im Schlamassel. Von überall ertönten Rufe und das Geklirr von Schwertern, Metall auf Metall, eine dunkle Rauchwolke stieg über ihm empor, das Hauptsegel stand lichterloh in Flammen. Er erblickte seine Leute an der durch Enterhaken sehr in Mitleidenschaft gezogenen Reling dabei, wie sie Versuche ihrer Kontrahenten, an Bord zu gelangen, so gut es ging abwehrten. Der oberste Quartiermeister Dayne lief wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und ab, brüllte dabei relativ erfolglos Befehle. Als dieser an ihm vorbei kam, packte er den Mann an der Schulter und verlangte nach Informationen. Überraschung breitete sich auf dem Gesicht des breitschultrigen, grobschlächtigen Southamptons aus. ,,Kapitän Riggs, wo wart Ihr? Man hat Euch überall gesucht'', begann dieser, wurde aber sofort unterbrochen. ,,Ich wollte etwas essen, Sie Idiot! Jetzt erklärt mir sofort, was diese Hunde'', er deutete auf das Schiff, welches direkt neben seinem im Wasser lag, ,,hier zu suchen haben!'' Dayne war unter seinen harschen Worten immer mehr in sich zusammen gesunken, doch darauf konnte er nun keine Rücksicht nehmen. Seine Vermouth war in Gefahr und anscheinend war niemand hier an Bord kompetent genug, ihm zu erklären, was hier los war. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, aber sein Ausguck hätte das feindliche Schiff rechtzeitig sehen müssen, so etwas hätte gar nicht passieren dürfen.

 

,,Wo ist nur Riley, wenn man ihn braucht?'', presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. ,,S-Sie haben mit Brandpfeilen auf uns geschossen, er wurde getroffen und ist ins Wasser gestürzt. Wahrscheinlich ist er da oben eingeschlafen'', kam es pflichtbewusst von Dayne. Er unterdrückte ein wütendes Schnauben, natürlich war der letzte Sturm hart gewesen, er hatte genau so wenig Zeit für Schlaf und Erholung gehabt wie die anderen, aber bei Riley hätte er das nie gedacht. Der Junge war gerade erst dem Knabenalter entwachsen, das war definitiv ein zu frühes Ende. Mit wachsamem Blick begutachtete er die Lage. Seine Männer schienen mit den Versuchen ihrer Gegner, das Schiff zu kapern, gut zurecht zu kommen. Mit größerem Interesse wandte er sich dem anderen Schlachtschiff zu, der Flagge nach waren es wirklich Franzosen, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Vor wenigen Wochen erst hatten englische Truppen die Normandie unter ihre Gewalt gebracht. Die Vermouth segelte mit dem Auftrag, das Gold des neuen Landteils nach England zu überführen und da die Franzosen anscheinend nicht aus dem letzten Blutbad gelernt hatten, konnten sie sich diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen. Ein englisches Schlachtschiff, beladen mit Gold, Silber und anderen Schätzen; das war die perfekte Gelegenheit, die französischen Kriegskassen aufzufüllen. Die Mannschaft war genau für diesen Fall ausgesucht worden. Sicherlich war es für ihn eine Ehre gewesen, so wichtige Güter unter seine Verantwortung gestellt zu bekommen, aber eine zusammengewürfelte Mannschaft hatte kein Kapitän gerne. Sie stammten aus völlig unterschiedlichen Teilen Englands und es hatte auf dem Hinweg in die Normandie Prügeleien und Beschimpfungen gegeben, weil alte Erbfeindschaften zwischen den Familien einiger Mannschaftsmitglieder neu entfachten oder erst aufblühten. Er als Kapitän hatte mithilfe seines obersten Quartiermeisters für Ruhe sorgen können, auch wenn Gewalt und Einiges an Nerven dafür nötig gewesen waren.

 

 

 

,,Nehmt Euch ein paar Männer, wenn nötig auch die Köche und löst das Hauptsegel. Versenkt es im Wasser, wir werden es ohne genau so gut zur Küste schaffen. Schickt mir Simmons, er soll einen Kurs setzen, der uns hier heraus bringt'', gab er Anweisungen. Dayne nickte nur ergeben. Trotzdem konnte er einen Anflug von Wehmut in seinen Zügen erkennen, kein Wunder, das Segel war sehr wertvoll, aber die Fracht und das Schiff umso mehr. Er beobachtete den Quartiermeister, wie dieser einige Männer zusammen rief und mit ihnen die Taue des Hauptmastes hinauf kletterte. ,,Kapitän, Sir, Ihr habt nach mir verlangt?'', machte eine fragende Stimme hinter ihm auf sich aufmerksam. ,,Simmons, bitte bringen Sie uns hier weg, wir machen einen kleinen Schlenker, um unsere fran-zösischen Freunde zu überraschen, dann kehren wir auf den alten Kurs zurück. Selbst mit nur drei Masten sind wir schneller als ihr Koloss. Zeigen wir ihnen, warum sie sich nicht mehr mit England anlegen sollten'', befahl er und ein selbstgefälliges Grinsen schlich sich auf seine vom Salzwasser spröden Lippen. Der Navigator verschwand in Richtung Steuer, gab dann von dort ein Zeichen. ,,Alle Mann gut festhalten, wir tanzen ein wenig!'', rief er und ein einstimmiges ,,Jawohl, Kapitän'' hallte ihm entgegen.

 

Er schaffte es gerade noch, sich selbst an einem der kleineren Maste in Sicherheit zu bringen, als das gesamte Schiff sich um 30° auf die Seite neigte. Die Segel waren dank seinen Männern wieder gesetzt, das Beschädigte von ihnen schwamm auf der Wasseroberfläche, zumindest, was davon noch übrig geblieben war. Der beständige Westwind brachte sie vorwärts und so drehte sich die Vermouth in Richtung Osten. Dabei rammte der hintere Teil des Schiffes das der Franzosen und schrille Schreie, unterlegt mit dem splitternden Krachen von Holz wurden vom Wind zu ihnen getragen. Blitzartig änderte sich die Fahrtrichtung erneut, das Schiff neigte sich augenblicklich auf die gleiche Weise zur anderen Seite, sie hatten bereits genug Abstand zu ihren Beinahe-Besuchern gewonnen und, sich wieder auf dem alten Kurs befindend, balancierte der Bug der Vermouth sich aus. ,,Sehr gut'', murmelte er vor sich hin, ,,wirklich sehr, sehr gut gemacht.'' Dann wiederholte er dies noch etwas lauter, damit seine gesamte Mannschaft es hören konnte. Laute Jubelrufe erschallten und das triumphierende Grinsen wollte nicht aus seinem Gesicht weichen, als er sich umdrehte und zu den Franzosen hinüber sah. Diese waren damit beschäftigt, ihre über Bord gegangenen Männer einzusammeln. Die weiße Fahne wurde zusätzlich zur französischen Flagge gehisst, sie hatten gewonnen, mal wieder. Diese Landratten lernten auch nie dazu, ging es ihm durch den Kopf und er spuckte verächtlich auf den Boden, unweit seiner eigenen Stiefelspitzen.

 

 

 

Es war zwar kein großer Sieg, aber es würde an diesem Abend trotzdem gefeiert werden, auch wenn sie einen Mann verloren hatten. Noch kannte die Mannschaft sich nicht lange, noch war jeder von ihnen, mit Ausnahme vom Kapitän selbst, ersetzbar. Mit langsamen Schritten näherte er sich dem Backboard des Schiffes, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Die Reling war etwas gesplittert, aber es waren keine großen Schäden. Trotzdem biss er sich auf die Unterlippe beim Gedanken, was wohl der Eigentümer dieses Schiffes, der König selbst, dazu sagen würde. Sie hatten noch fast drei Tage auf See, vielleicht konnten die Zimmermänner Abbey, Kent und Fryle retten, was zu retten war. Genügend Material hatten sie in der Normandie aufgeladen. Ohne lange nachzudenken, setzte er seine Gedanken in einen Befehl an die drei älteren Männer um. Er kannte zwei von ihnen, sie hatten zusammen auf der Gloria, einem mittelgroßen Handelsschiff gedient und sich dort sehr gut verstanden. Die Beiden hatten stets viel zu erzählen, eine Menge Anekdoten parat. Ansonsten waren ihm die restlichen Mitglieder seiner Crew lediglich vom Hörsagen her bekannt, was ihn sehr störte, schließlich lag ihm viel an guter Gesellschaft und dies war bei einer zusammen-gewürfelten Mannschaft denkbar unmöglich.

 

Trotz allem verlief der restliche Tag besser, als er gedacht hatte. Innerhalb weniger Stunden glänzten die Schiffsplanken wieder, die Männer schwitzten und keuchten, dennoch war die Vermouth in kürzester Zeit wieder auf Vordermann gebracht. Aus der Kombüse lockte der Geruch von gesalzenem Hering und frischem Brot ihn und die anderen Männer, ausgenommen von Robin, welcher die Aufgabe des Ausgucks hatte übernehmen müssen, unter Deck.

 

Die Köche hatten sich einmal wieder selbst übertroffen, es schmeckte vorzüglich, wie auch das erfrischende, milde Bier. Es tat gut, wieder etwas Vernünftiges zu essen, nicht nur das gepökelte Rindfleisch wie es in den Tagen des Sturms der Fall gewesen war. Während er geschickt den Fisch von den Gräten trennte, beobachtete er stumm die Männer um sich herum. Sie waren in leise Gespräche vertieft oder ganz und gar auf ihr Essen fixiert, er konnte es ihnen schlecht übel nehmen, denn für viele von ihnen war es das erste Mal, auf einem wirklichen Schlachtschiff zu dienen. Tage auf See mochten sich oft lange hinziehen, aber dafür gab es ab und an eine Seeschlacht mit Piraten oder den Franzosen. Anders als die meisten Kapitäne, die er kannte, nutzte er die freie Zeit seiner Männer für Drillübungen: Segel setzen und einholen, Taue wechseln und neu befestigen, Positionswechsel innerhalb des Netzes, welches die Taue bildeten. Alles, um seine Mannschaft fit und einsatzbereit zu wissen, außerdem war es eine gute Möglichkeit, seine Männer auf den Ernstfall vorbereiten zu können. Der heutige Tag hatte wieder bewiesen, dass seine Methode zwar anstrengend war, sich jedoch auszahlte, denn das Erste, was ein Seemann lernen musste, war, Befehlen sofort und ohne Umschweife zu gehorchen. Dies wäre heute, wenn die Mannschaft es nicht beherrscht hätte, für viele von ihnen tödlich ausgegangen.

 

 

 

Mit ein paar freundlichen Worten des Dankes verabschiedete er sich von seinen Leuten, schließlich musste er den Brief an Angehörige des verstorbenen Jungen verfassen und so etwas tat kein Kapitän gerne. Während er die Tür zu seiner Kabine öffnete, überlegte er, was er über Riley sagen könnte. Seufzend beugte er sich über seinen Tisch und suchte nach der Liste, auf welcher sich jedes Mitglied mit den dazugehörigen, engsten Verwandten befand. Schnell wurde er fündig, der Junge hatte eine Tante in Canterbury. Schwerfällig ließ er sich auf seinen Stuhl sinken, ignorierte dabei das verheißungsvolle Ächzen des Holzes. Sein Blick glitt über die Tischplatte, seine Hand nahm ein Blatt des Briefpapiers vom Stapel und die andere tauchte eine weiße Schwanenfeder in die königsblaue Tinte. Mit geübt geschwungenen Buchstaben fügte sich nach einer förmlichen Anrede die Erzählung über das Verhalten und die Taten des Jungen an. Er schrieb über die Neugier und Unternehmungslust, sowie die freiwillige Meldung von Riley, als Ausguck zur Verfügung zu stehen. Als Ursache für dessen Tod führte er lediglich an, dass dieser in einer Seeschlacht von einem Pfeil durchbohrt und dann in die Tiefen des Meeres gestürzt war. Die Details ließ er bewusst aus, denn die Toten sollte man stets ehren und er folgte diesem Kodex. Mit seiner Unterschrift beendete er das Schriftstück, faltete es säuberlich und ließ es in einen Umschlag sinken. Er nahm die Kerze neben sich und goss etwas Wachs darauf, griff nach dem Stempel und drückte das Siegel des englischen Königshauses in die weiche Masse. Als diese genügend erkaltet war, legte er den Brief auf den Stapel rechts von sich. Er würde ihn mit dem nächsten Kurier, welchen sie antrafen, in Richtung Festland schicken.

 

 

 

Ein bitteres Lächeln legte sich auf seine Lippen. Dieser Junge erinnerte ihn an sich selbst vor so vielen Jahren, als er noch jung und unbeschwert Abenteuer und Gefahr gesucht hatte. Das war, bevor ihn die Franzosen beim Kapern des Schiffes, auf welchem er als Navigator gedient hatte, in die Finger bekommen und in ihren Kerker für Kriegsgefangene gesteckt hatten. Brutale, oft stundenlange Folterungen, um die Ziele ihrer damaligen Mission zu erfahren, Brot und Wasser, sowie öffentliche Bloßstellung vor dem französischen Volk als Schwerverbrecher hatten den Hass auf die Franzosen tief in seinem Inneren verankert. Glücklicherweise hatte der englische König persönlich beschlossen, ihn freizukaufen, das Lösegeld hatten sich britische Schiffe natürlich bereits kurz nach seiner Übergabe zurückgeholt. Deshalb war er dem König zu großem Dank verpflichtet. Wer konnte schon von sich sagen, sein Leben dem eigenen Herrscher zu verdanken? Dies war bereits mehr als 15 Jahre her, aber die Erinnerungen waren geblieben, hatten sich tief in seiner Seele eingebrannt.

 

Er fuhr sich mit einer Hand durch seine schwarzen, kurz gehaltenen Haare, welche bereits erste graue Strähnen aufwiesen. Langsam erhob er sich wieder, aber nur, um sich dann in seine Hängematte fallen zu lassen. In drei Tagen war er nach Monaten auf See und nach dem Wechsel von einem Schiff auf das nächste endlich wieder für eine Zeit lang zuhause. Jeder Seemann, der behauptete, er habe kein Zuhause an Land, war schlicht und einfach ein Lügner. Jeder hatte irgendwo Familie, ob es nun die Eltern oder Frau und Kinder waren. Er selbst hatte einen Bruder, welcher mit seiner Frau und ihren drei Kindern auf seinen Hund Billy aufpasste, wenn er auf See war. Dieses kleine, braune Fellbündel konnte zwar nervtötend sein und war unglaublich hyperaktiv, aber dennoch hatte er den Kleinen in sein Herz geschlossen. Er freute sich auch auf seinen jüngsten Neffen, den er noch nicht gesehen hatte, da Victoria, die Frau seines Bruders, erst entbunden hatte, nachdem er bereits wieder eine Woche auf See gewesen war. Mit den Gedanken an seine Familie löschte er die Öllampe und fiel bald in seinen üblichen, unruhigen Schlaf.

 

 

 

Die Glocke schlug beinahe pünktlich zum Morgengrauen, ein Ruf hallte über das Schiff: ,,Land in Sicht! Land in Sicht!'' Die letzten drei Tage waren ereignislos verlaufen, ein kleines Kurierschiff war an ihnen vorbei gezogen und hatte seine Briefe entgegen genommen.

 

Er stand auf, suchte sich seine beste Hose heraus, sowie sein bestes Leinenhemd. Darüber zog er seinen üblichen schwarzen, schlichten Mantel und band sich seinen Schwertgürtel mit dem Erb-stück seines Großvaters um die Hüfte, ein altes Ritterschwert, welches seiner von Adel stammenden Familie bereits gute Dienste geleistet hatte. Den Mantel, welchen er vor Allem bei öffentlichen und besonderen Anlässen trug, da auf diesem seine gesamten Orden aufgestickt waren, legte er ordentlich gefaltet zu seinem restlichen Gepäck. Dann machte er sich auf den Weg an Deck. Dort herrschte bereits ausgelassene Stimmung, das Bier floss und es wurde aus vollen Kehlen ein Heimatlied nach dem anderen angestimmt. Niemand schien die Texte wirklich zu beherrschen, doch das störte anscheinend keinen von ihnen. Er stellte sich neben Dayne an die Reling und blickte nach vorn, dem immer breiter werdenden Streifen des Festlands am Horizont entgegen. Er fühlte die gleiche Aufregung wie die Anderen, auch wenn es bei ihm mittlerweile zur Gewohnheit gehörte; der schnellere Herzschlag, das Kribbeln in seinen Gliedern und die Tränen, welche ihm in die Augen stiegen, als er an seine bevorstehende Rückkehr nach Hause dachte.

 

Der Wind meinte es gut mit ihnen, trieb sie beinahe in Rekordzeit in den Hafen von Canterbury und bereits von Weitem waren die Jubelrufe der versammelten Menschenmenge zu hören. Eine kräftige Brise ließ die Segel zu voller Größe aufblähen und als sie an der Küste einliefen, befahl er den Auswurf den Ankers. Taue zum Befestigen der Vermouth wurden am Bug des Schiffes hinab geworfen und von Seeleuten an Land um die Pflöcke des breiten Stegs gewunden. Die Leitplanke wurde herunter gelassen und er als Kapitän betrat als Erster seiner Mannschaft das Festland. Schulterklopfen und lobende Worte begrüßten ihn, er erwiderte stets mit einem ,,Danke sehr, Gentlemen'', sah sich dabei die gesamte Zeit um, bis er die Menschen entdeckte, nach denen er gesucht hatte. Zum Gruß hob er seine Hand und machte sie damit auf sich aufmerksam. Lächelnd kam er ihnen näher und ließ sich von Victoria, anschließend von ihren beiden älteren Kindern umarmen, dann folgte ein brüderlicher Händedruck und ein ,,Willkommen zurück'' ihres Mannes.

 

 

 

Sie gingen nebeneinander die engen Straßen der Stadt entlang, plauderten über neuste Entwicklungen der Wirtschaft und Gesellschaft, wer wen geheiratet hatte, wer nun stolze Eltern waren und über die Fortschritte der Kinder. Sein jüngster Neffe konnte seit Kurzem laufen. Als er dies hörte, wurde ihm bewusst, wie lange er eigentlich nicht Zuhause gewesen war. Umso mehr freute es ihn, wieder hier zu sein. Der Geruch von Pferden, Hunden und anderen Tieren, welcher sich wie ein unverkennbares Muster durch die Straßen Canterburys zog, war ihm vertraut. Er verband mit dieser Stadt seine gesamte Kindheit, die Zeit, bevor seine Eltern gestorben waren, als seine Welt noch heil und in Ordnung gewesen war. Ein gewisser Wehmut sorgte dafür, dass sein Herz sich merklich zusammenzog. Bald waren sie am kleinen Haus seines Bruders angekommen, die Fassade bröckelte etwas, dennoch ließen die geschwungenen, in die Balken geritzten Buchstaben ''Gott schütze diese Familie, König und Vaterland'' eine edle Herkunft vermuten. So ein Schriftzug war oft sehr teuer und aufwendig, abgesehen davon, dass der Großteil der Bevölkerung weder lesen, noch schreiben konnte.

 

Der kleine Vorgarten leuchtete in allen möglichen Farben, Rosen rankten sich an Teilen der Hauswand empor, sie waren sein Hochzeitsgeschenk an die Beiden gewesen, eine Hecke diente als Abgrenzung zum benachbarten Grundstück. Für ihn persönlich war es hier zu eng, er hätte das Gut seines Vaters bevorzugt, doch sein älterer Bruder hatte nach dessen Tod beschlossen, es zu verkaufen.

 

 

 

Als sie gemeinsam ins Haus traten, fiel ihm auf, dass sich hier wie immer nichts verändert hatte, selbst das Portrait ihrer Eltern gegenüber der Eingangstür hing nach wie vor etwas schief an der Wand. Das helle Bellen aus einem anderen Raum zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Einen Moment später schoss ein braunes Etwas auf ihn zu und sprang ihm direkt in die Arme. Eine raue, feuchte Zunge fuhr unablässig über seinen Hals und sein Kinn, das überschwängliche Winseln und Jaulen seines Kleinen trieb ihm Freudentränen in die Augen. Er setzte die kleine Fellnase wieder auf dem Boden ab, hockte sich hin und wurde prompt erneut angesprungen. Die Rute des Hundes wedelte so schnell von einer Seite zur Anderen, dass man sich fragen musste, ob der Kleine bald abheben würde, wenn er so weiter machte. Begleitet von seinem treuen, immer noch an ihm empor springenden Billy folgte er den Anderen ins Wohnzimmer, wo ihn eine weitere Person begrüßte. ,,Onnell Joe'', brabbelte ein kleiner Junge, als er den Raum betrat. Er musste unweigerlich lächeln, als er den Kleinen auf sich zuwanken sah.

 

Für einen Moment war seine Welt wieder in Ordnung, wie damals als Kind, eine wunderschöne, bunte Welt ohne Sorgen und Nöte, eine Welt, in der er glücklich sein konnte und er genoss es in vollen Zügen. Denn wer wusste schon, wie oft das Leben einem solche Momente noch gönnen würde.

 

 

 

Bereits drei Wochen später rief ihn ein Schreiben des Britischen Königshauses nach London. Dort bekam er einen neuen Auftrag und stach mit einer neuen Crew in See. Dies war der Alltag eines Seemannes, es war seine Pflicht gegenüber dem König, doch er tat es aus Überzeugung und er tat es gerne.